Der erste Ministerpräsident der DDR verstand unter deutscher Einheit zunächst noch die Einbeziehung der Gebiete östliche der Oder-Neiße-Grenze. Dann förderte auch er im Einklang mit den Erwartungen der Sowjetunion die Anerkennung der Ostgrenze der DDR.
Otto Grotewohl war neben dem KPDler Wilhelm Pieck der erste Vorsitzende der im April 1946 aus der Vereinigung von KPD und SPD entstandenen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Damit war ein Teil seines politischen Ideals, die Einheit der lange in Kommunisten und Sozialdemokraten gespaltenen Arbeiterbewegung, erfüllt, der andere, die Einheit Deutschlands, sollte folgen. Wie für andere SED-Politiker schloß im Jahr
1946 auch für ihn die deutsche Einheit noch die Gebiete jenseits von Oder und Neiße ein. Dabei verlor er die in der Potsdamer Konferenz bis auf weiteres anerkannten und legitimierten Realitäten durchaus nicht aus den Augen und suchte eine Kompromißformel, die den Wunsch nach einem Offenhalten der Grenzfrage zum Ausdruck brachte, ohne bei den Sowjets und der Bevölkerung
in den verschiedenen Besatzungszonen den Verdacht „nationaler Hetze“ zu erregen. Im Laufe der zweiten Hälfte der vierziger Jahre identifizierte sich der ehemalige Sozialdemokrat Grotewohl immer mehr mit der kommunistischen Ideologie und der Sowjetunion Stalins.
Zu dieser Wandlung gehörte das Abrücken von der Forderung nach einer die Ostgebiete einschließenden deutschen Einheit.
Gleichzeitig mußte die Einbindung ins östliche Lager auch die Normalisierung der Beziehungen zu den „Bruderstaaten“ und damit die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie bedeuten: „Die Politik des Friedens und der Freundschaft zur Sowjetunion findet ihre Ergänzung im Verhältnis zu den Volksdemokratien, vor allem mit unseren Nachbarn, dem neuen Polen und der Tschecheslowakischen Republik, sowie mit allen friedliebenden Völkern“, sagte Grotewohl in seiner ersten Regierungserklärung als Ministerpräsident der DDR. Im folgenden griff er die „imperialistischen Westmächte“ scharf an, sie würden die „Friedensgrenze“ an Oder und Neiße zur Störung der Friedens mißbrauchen, denn offensichtlich war es ihm unmöglich, die Westverschiebung Polens direkt zu rechtfertigen.Das Wort von der „Friedens- und Freundschaftsgrenze“ fällt
dann auch in der Warschauer Deklaration vom folgenden Jahr, deren Ausarbeitung und Verkündung Grotewohl seinem nominellen Stellvertreter Walter Ulbricht überlassen mußte. Grotewohls Unterschrift unter den die Oder-Neiße-Grenze formal anerkennenden Görlitzer Vertrag vom 7. Juli 1950 war dann nur noch reine Formsache.