Übersicht über die Ereignisse von 1763-1918

1815
Friedrich Wilhelm III. versucht sich ebenfalls an einer Politik, welche die nationale Eigenart etwas mehr berücksichtigen soll, zumindest in dem Gebiet des ehemaligen Herzogtums Warschau, das jetzt als "Großherzogtum Posen" eine Sonderstellung innerhalb Preußens einnimmt. Staatskanzler Hardenberg setzt durch, daß Josef von Zerboni als Oberpräsident und Fürst Anton von Radziwill als ständiger königlicher Statthalter in Posen eingesetzt werden. Innerhalb des preußischen Staates bleibt die polnische Bevölkerung jedoch eine Minderheit, auf die wenig Rücksicht genommen wird. Die Reformen bringen vor allem mehr Freizügigkeit für Gewerbe und Grundbesitz, was zu deutschen Investitionen und Immobilienkauf und damit zu einer indirekten "Germanisierung" in Polen führt.

Lodz – eine Multikultistadt

1820
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Lodz 1820
Eine Industrialisierungskampagne löst im russisch besetzten Lodz 1820 einen Gründerboom aus in dessen Folge im "Manchester Polens" eine multikulturelle Sozialisation aus Russen, Juden, Polen, Deutschen und anderen Nationalitäten entsteht.
1823
Der Sprachenerlaß des preußischen Kultusministers von Altenstein spricht sich gegen eine Germanisierung Polens aus. Die in seiner Schulpolitik angestrebte Respektierung der polnischen nationalen Individualität kann sich jedoch weder durchsetzen noch zum Vorbild für andere Bereiche preußischer Politik in Polen werden. Die seit 1815 zu beobachtende reaktionäre Wendung im preußischen Kabinett wird dazu führen, daß 1875 der Sprachenerlaß nur noch als Muster einer "falschen Liberalität" zitiert wird.
1825
Nach dem Tod Zar Alexanders I. besteigt Nikolaus I., der durch die Heirat mit einer Tochter Friedrich Wilhelms III. mit den Hohenzollern verschwägert ist, den russischen Thron. Seine Regierungszeit ist gekennzeichnet von einer nationalrussischen Wende, mit der die bisherige Liberalität gegenüber Polen beendet wird.

Deutsche Polenbegeisterung

1830
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Polen Begeisterung 1820
Die vom neuen Zar Nikolaus I. eingeführten Beschränkungen der konstitutionellen Rechte und Freiheiten führen zum "Novemberaufstand" in Kongresspolen. Der Zar wird vom Sejm als polnischer König für abgesetzt erklärt und eine provisorische Regierung eingerichtet.
6.9.1831
Zwar erhält die polnische Erhebung nach dem Vorbild der "Juli-Revolution" 1830 in Paris moralische Unterstützung in Europa, aber keine materielle oder militärische Unterstützung. Preußen stellt sich offen auf Seiten Rußlands und leistet Waffenhilfe bei der militärischen Zerschlagung des Aufstandes, der am 6. September mit der Einnahme Warschaus durch russische Truppen beendet wird. Es folgen harte Strafmaßnahmen gegen die Anführer, die Annullierung der meisten von Alexander I. gewährten Rechte, die Auflösung des Heeres, die Schließung der Warschauer Universität, Güterkonfiskationen, eine stärkere Kontrolle von Kirche und Schulwesen.
1831
Obwohl Preußen in seinen polnischen Gebieten von dem Aufstand nicht betroffen war, werden gegen mehr als 1000 Polen, vorwiegend Angehörige des Adels, in Preußen und seinen Provinzen Hochverratsprozesse angestrengt. Sie gehen zwar meist mit Freisprüchen oder milden Urteilen aus, doch sind sie insgesamt ein Signal für das Ende des bis dahin zumindest ansatzweise angestrebten Kurses einer Versöhnung der Interessengegensätze Preußens und Polens. Dessen ungeachtet werden die polnischen Aufständischen in den liberalen und demokratischen Kreisen des Bürgertums zu Symbolfiguren des Freiheitskampfes aller unterdrückten Völker. Besonders in Süddeutschland verbindet sich das Streben nach deutscher Einheit und Freiheit gegen die preußische Reaktion mit dem polnischen nach nationaler Selbständigkeit. Es entsteht eine polenfreundliche deutsche Dichtung, Literatur und Geschichtsschreibung, die mit Namen wie August von Platen, Nikolaus Lenau, Karl von Holtei, Friedrich von Raumer, Carl von Rotteck ud anderen verbunden ist.
14.4.1832
Mit der Einsetzung des neuen Oberpräsidenten Eduard Flottwell beginnt 1830 eine verstärkte Germanisierungspolitik in Posen. Mit dem Regulativ vom 14. April 1832 wird Deutsch als Amtssprache eingeführt. Dem folgt 1833 der Ausschluß der Kreitage von der Bestellung der Landräte, 1836 die Ersetzung der grundherrlichen Amts- und Polizeigewalt durch preußische Distriktskommissare. Damit gibt es keine polnische lokale Selbstverwaltung mehr, Posen wird, auch durch den Verkauf konfiszierter Adelsgüter an Deutsche, weitgehend preußisch.
1840
Der polnische Arzt Karol Marcinkowski, 1836 aus dem Pariser Exil nach Posen zurückgekehrt, gründet die "Gesellschaft für Wissenschaftliche Hilfe", deren wichtigste Aufgabe die Verleihung von Stipendien an polnische Schüler und Studenten aus dem Bauern- und Bürgerstand ist. Es gelingt Marcinkowski, die finanzielle Unterstützung des polnischen Adels zu gewinnen. Der Verein entwickelt sich zu einem wichtigen Instrument der kulturellen polnischen Selbsthilfe gegen die Germanisierungstendenz der preussischen Politik.
1840
Mit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. nimmt die preußische Politik in Posen eine versöhnliche Wendung. Der 1838 verbannte Erzbischof Dunin, der sich gegen alle Germanisierungsbestrebungen der Schul-, Behörden- und Gerichtssprache engagiert, wird begnadigt und wiedereingesetzt. Ein Entgegenkommen gegenüber dem polnischen Klerus stellt auch die Einrichtung einer katholischen Abteilung im preussischen Kultusministerium dar. Ausserdem erläßt Friedrich Wilhelm eine Amnestie für die Teilnehmer des Aufstandes von 1830 und das Auslieferungsabkommen zwischen Preußen und Rußland wird nicht erneuert, was die Voraussetzung für eine Rückkehr der polnischen Emigranten nach Posen ist.
1846
Die Unzufriedenheit in weiten Teilen der polnischen Bevölkerung bleibt jedoch. Ein Teil ist dafür, sich mit dem preußischen Staat in der Hoffnung auf weitere Erleichterungen und Zugeständnisse zu arrangieren, ein anderer Teil bleibt für den Umsturzgedanken empfänglich. Es kommt zu einer Verschwörung, die in allen drei Teilgebieten Polens gleichzeitig zur Erhebung führen soll, jedoch mißlingt.

Polenprozess in Berlin

2.8.1847
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Polen Prozess 1847
Vor dem preußischen Kammergericht wird der erste öffentliche politische Prozess der preußischen Geschichte gegen polnische "Verschwörer" eröffnet. Den Polen wird vorgeworfen einen Aufstand geplant zu haben, der die Wiederherstellung des polnischen Staates in den Grenzen von 1772 zum Ziel gehabt habe. Acht Todesurteile und 97 Haftstrafen werden verhängt.
20.3.1848
In der deutschen Märzrevolution scheint die gleichzeitige Verwirklichung des deutschen und polnischen Nationalstaates in greifbare Nähe gerückt. Am 20. März versammelt sich eine Menschenmenge vor dem Berliner Schloß und fordert die Freilassung der inhaftierten polnischen Freiheitskämpfer. Friedrich Wilhelm IV. gibt nach und verkündet die Amnestie. Im Triumphzug werden die befreiten Polen vom Moabiter Gefängnis durch die Straßen geführt, allen voran Ludwik Mieroslawski und Karol Libelt.
24.3.1848
Friedrich Wilhelm IV. sagt am 24. März einer polnischen Abordnung aus Posen die "nationale Reorganisation" zu. Daraufhin bildet sich in Posen ein "Nationalkomitee", das mit dem von Preußen eingesetzten Reorganisationskommissar Genaralmajor von Willisen zusammenarbeiten soll. Gleichzeitig stellt das Nationalkomitee polnische Freischärlertruppen für einen bevorstehenden Krieg gegen Rußland auf, der als Voraussetzung für die Erlangung der nationalen Unabhängigkeit gesehen wird. Dem stellt sich der Befehlshaber der preußischen Truppen in Posen, General Colomb, entgegen.
11.4.1848
Der Zusammenstoß polnischer Freikorps mit preußischen Truppen kann zwar durch eine Übereinkunft vom 11. April verhindert werden, doch organisiert General Colomb einen umfassenden Boykott der nationalen Reorganisation, an dem sich das preußische Beamtentum und die deutsche Bevölkerung beteiligen. Der kuzzeitige Plan, Posen in einen deutschen und polnischen Teil zu trennen, wird rasch aufgegeben.
20.4.1848
Der mit der Reorganisation beauftragte von Willisen wird am 20. April nach Berlin zurückgerufen. Das wird vom polnischen Nationalkomitee als Bruch der gegebenen Versprechen aufgefaßt. Es kommt zu einzelnen Zusammenstößen, schließlich zu regelrechten Gefechten mit den preußischen Truppen, doch am 10. Mai müssen die schlecht ausgerüsteten polnischen Freischärler aufgeben. Ihre Führer, darunter Mieroslawski, werden gefangengesetzt. Damit ist das Programm der nationalen Reorganisation aufgegeben. Zum polnisch-preußischen Gegensatz beginnt sich eine feindselige Grundeinstellung zwischen polnischer und deutscher Bevölkerung innerhalb Posens zu entwickeln.

Die Polendebatte in der Paulskirche

1848
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Paulskirche 1848
Als Polen im Zuge der 48er Revolution die Loslösung von Preußen fordert, schlägt bei den Liberalen Deutschlands die Stimmung um. Die Mehrheit der Abgeordneten in der Paulskirche ist gegen eine Wiederherstellung Polens.
1850
Durch die neue preußische Verfassung entsteht im preußischen Landtag eine polnische Fraktion, doch bedeutet sie gleichzeitig das Ende der staatsrechtlichen Sonderstellung des Großherzogtums Posen, das nun auch offiziell zur preußischen Provinz wird. Der Vorrang der Staatseinheit läßt nun keinen Spielraum mehr für "nationale Sonderwünsche". Aus den "preußischen Polen" werden "polnische Preußen".
1854
Der Roman "Soll und Haben" von Gustav Freytag erscheint. In dem Bestseller werden erstmals "deutsche Tugenden" gegen schlechte, soll heissen polnische (und jüdische) Eigenschaften aufgerechnet und so bei der deutschen Leserschaft ein Bewußtsein der kulturellen Überlegenheit geschaffen, das später zur Überheblichkeit der Ostmarkenideologie führen wird.
1855
Durch rigorose Veränderung der Wahlbezirke, Verlegung der Wahlorte in abgelegene deutsche Gebiete und andere Manipulationen, versucht die preußische Regierung in Posen erfolgreich die Wahl polnischer Abgeordneter zu erschweren. Die polnische Fraktion, verkleinert auf fünf Mitglieder, verliert ihren ohnehin geringen Einfluß im preußischen Landtag.
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