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Deutsche & Polen

Joe J. Heydecker über seine Gründe, im Warschauer Ghetto zu fotografieren

Joe Heydecker
Biografie

Die Frage nach meinem Motiv ist berechtigt. Sachlich vorausschicken möchte ich nur, daß ich niemals in offizieller Eigenschaft als Angehöriger einer Propagandakompanie forografierte. Ich war Laborant, nicht Berichterstatter. Ich fotografierte allein aus eigenem Antrieb und auf eigene Gefahr, ohne Auftrag und glücklicherweise auch ohne Wissen irgendeiner Dienststelle. Leider gelingt es mir nicht zu schildern, wie es damals in mir aussah. Ich war von Scham, Haß und Ohnmacht zerrissen. Ich wünschte glühend eine gründliche Niederlage Deutschlands und sah doch, wie lange es bis dahin dauern würde.
Ich fotografierte, um die Schmach festzuhalten – gewissermaßen, um den Schrei zu konservieren, den ich in die Welt hätte hinausschreien wollen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Meine Schuld ist, daß ich sah, dabeistand und fotografierte statt zu handeln. Schon damals fühlte ich dieses furchtbare, undurchdringliche Problem. Feige die Frage: Was hätte ich tun können? Etwas. Mit dem Seitengewehr einen der Posten niederstechen. Den Karabiner gegen Vorgesetzte richten. Überlaufen und auf der anderen Seite kämpfen. Den Dienst verweigern. Sabotage treiben. Befehlen nicht gehorchen. Den Tod hinnehmen. Niemand, so sehe ich heute, kann uns davon absolvieren.

Quelle:
Heydecker, Joe J.
"Das Warschauer Ghetto"
Foto-Dokumente eines deutschen Soldaten
dtv, München, 1983
S. 22

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