Schröders Auftritt war überschattet von der Tagespolitik.
Zehn Jahre nach Bundespräsident Roman Herzogs vielbeachteter Rede war mit Gerhard Schröder erstmals ein deutscher Bundeskanzler eingeladen, an den Warschauer Aufstand gegen die nationalsozialistische Besatzung zu gedenken. Entsprechend groß waren die Erwartungen in Polen anläßlich dieses 60. Jahrestages, die durch von Seiten Vertriebener erhobenen Restitutionsforderungen sowie den anhaltenden Streit um ein Zentrum gegen Vertreibungen noch verstärkt wurden. Der Hoffnung auf eine große Geste – man erinnerte an Willy Brandts Kniefall – begegnete Schröder mit einer Verbeugung vor dem Denkmal für die Aufständischen. Er begann: „Wir verneigen uns tief vor dem Opfermut und dem Stolz der
Männer und Frauen der polnischen Heimatarmee.“ Mit Blick auf die deutschen Verbrechen an Polen während des Zweiten Weltkriegs sagte er, es sei „all den Menschen zu danken, die sich wie die Aufständischen von Warschau der Nazi-Barbarei widersetzt haben“, daß er an dieser Stelle als Kanzler eines „anderen, freien und demokratischen Deutschland“ seiner Hoffnung
auf Versöhnung Ausdruck geben dürfe. Er rief in Erinnerung, daß erst seit 1989 der Aufstand in Polen voll gewürdigt werden könne, und beschwor die Notwendigkeit eines guten Gedächtnisses für die Zukunft Europas. Deutsche und Polen verbinde „die Pflicht zum Beistand in Europa und in der transatlantischen Allianz“. Zu einer weiter intensivierten
Zusammenarbeit gehöre nach Schröders Worten auch eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Er mahnte die Intensivierung der zivilgesellschaftlichen Kontakte an.
Am meisten Beachtung fanden jedoch jene Passagen von Schröders Rede, in denen er zum einen ein nationales „Zentrum gegen Vertreibung“ zugunsten eines „europäischen Netzwerks“ ablehnte, und zum andern feststellte, daß „mit dem Zweiten Weltkrieg zusammenhängende Vermögensfragen für beide Regierungen kein Thema“ seien.Dies werde die Bundesregierung auch vor internationalen Gerichten vertreten. Die Problematik des Umgangs mit durch Vertreibungen verlorenen Vermögenswerten gilt als ungelöst. Auch die Regierung Schröder hat nie einen Rechtsverzicht geleistet, offensichtlich um etwas gegen Forderungen von polnischer Seite in der Hand zu haben. Andererseits machen sich jene Vertriebenen die ungeklärte Lage zunutze, die von der „Preußischen Treuhand“ Vermögensansprüche
gebündelt vortragen lassen wollen. Die Spitze des Bundes der Vertriebenen (BdV) ruft zum Verzicht auf individuellen Besitz auf, fordert jedoch von Polen zumindest eine symbolische Entschädigung. Diese Bestrebungen werden in Polen allseits mehr oder weniger vehement abgelehnt.
Entsprechend fielen die Reaktionen auf Schröders Rede aus. Der Präsident des Sejm,
Kazimierz Ujazdowski, äußerte sich enttäuscht, daß der Kanzler nicht die Bereitschaft erklärt habe, daß Deutschland finanzielle Forderungen von Vertriebenen begleichen werde. Der polnische Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz sagte, er hoffe nun, da Regierungen kämen und gingen, auf eine ähnliche Erklärung der Christdemokraten. Doch gab es auch Stimmen, die die Sorge um deutsche Forderungen durch Schröders Rede zerstreut sahen.Auf der anderen Seite bezeichnete die BdV-Vorsitzende Erika Steinbach diese als „nicht anständig“ und hoffte auf eine gesetzliche Regelung der Vertriebenenansprüche im Bundestag, für die der Bund die „wirtschaftliche Verantwortung“ übernehme. Steinbach erntete Kritik aus allen Parteien außer der Union, wobei CDU-Generalsekretär Meyer Schröders Äußerungen immerhin „im Kern richtig“ nannte. Der Aufsichtsratsvoristzende der „Preußischen Treuhand“ lehnte hingegen die von Steinbach vorgeschlagene Entschädigung durch die Bundesrepublik ab und sprach von einer „Aufgabe eines Teils des Heimatrechts“. Die Debatte dauert an.