Die deutschen Nationalsozialisten vernichteten 1939-45 eine der ältesten jüdischen Gemeinschaften in Europa. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit genossen die Juden in Polen mehr Freiheiten als in jedem anderen Land Europas.
Jüdische Siedlungen in Polen gab es seit dem späten 12. Jahrhundert. Im 14. und 15. Jahrhundert kamen Tausende jüdischer Flüchtlinge vor allem aus Frankreich und Deutschland nach Polen. Sie flohen vor politischen Umwälzungen, vor allem aber vor Verfolgungen und Pogromen. Die Jahre 1500 bis 1650 gelten in Polen als goldenes Zeitalter. Die Nachbarn kämpften noch mit den Geburtswehen des Absolutismus, das polnisch-litauische Großreich war hingegen ein Land mit
großer ethnischer und religiöser Vielfalt. Deutsche Lutheraner, polnische Calvinisten, Tataren, Muslime u. v. a. lebten hier miteinander. Die religiöse Toleranz war eine Frage von Prinzipien und des Überlebens. Seit 1573 wurden die Könige in Polen von einem Parlament gewählt, das den Adel (szlachta) repräsentierte. In den Adel – der etwa 10 Prozent der Bevölkerung bildete - wurden
auch Nicht-Polen aufgenommen, wie auch konvertierte Juden. Seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts verbanden Juden ihr ökonomisches Schicksal mit dem dynamischen Adel. Juden dienten dem Adel als Pächter oder Verwalter von Ländereien. Sie kolonisierten neue Besitzungen, gründeten oder
erweiterten Städte (shtetlakh). Diese Städte bildeten die typische jüdische Siedlung bis ins späte 19. Jahrhundert. In Polen bildeten Juden eine gemeinsame Struktur aller jüdischen Gemeinschaften, die im jüdischen Leben in der Diaspora einmalig war. Sie bildeten eine Hierarchie von Regional- und Provinz-Räten, die von beratenden und richtenden Instanzen beaufsichtigt wurden und eine nationale Regierung bildeten. Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war das polnisch-litauische Großreich Invasionen von Schweden, Tartaren, Russen und Kosaken ausgesetzt. Kosaken-Armeen veranstalteten Blutbäder unter Christen und Juden in Polen, die sich in deren gemeinsamer Erinnerung für Jahrhunderte eingegraben haben. In der Mitte des 18. Jahrhunderts lebten etwa 750.000 Juden in Polen.Juden und Polen kannten sich, abseits ihrer jeweils individuellen Beziehungen gab es eine große Anzahl von Wahrnehmungsmustern, die ihre Beziehungen prägten. Bauern sahen in den Juden typische vorindustrielle Händler: geschickt, hinterlistig und geizig. Juden galten auch als Menschen, die den wahren Glauben zurückwiesen und Christus ermordet hätten.
Den Adligen galten Juden jedoch nicht als eigentlich gefährlich. Eher als nicht gewalttätig, unmännlich, komisch in Kleidung, Sprache und Gewohnheiten. Umgekehrt sahen Juden polnische Bauern und Adlige vornehmlich als brutal, ignorant und tölpelhaft an, Charakteristiken, die dem jüdischen Ethos vollkommen entgegengesetzt waren. Während die Juden im übrigen Europa vielerorts immer wieder Opfer der Staatsgewalt oder des Mobs wurden, waren die Beziehungen von Polen und Juden trotz der erwähnten wechselseitigen Wahrnehmungen frei von Gewalt. Erst mit der Entstehung des modernen Nationalismus sollten sich diese relativ guten Beziehungen zum schlechteren verändern. Für Polen markierte die Dritte Teilung von 1795 endgültig den Eintritt in die Moderne.