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Deutsche & Polen

Maximilian Harden über die Besuche Wilhelms II. in Posen

Parade, Zapfenstreich, Denkmalsenthüllungen, Museumsweihe, Diners, Einzug und Auszug: von früh bis spät konnte die Schaulust sich weiden. Hinter Laubgewinden und Flaggenmasten verschwanden die düsteren Polenburgen. Der Kaiser, lasen wir denn auch, habe sich ganz entzückt über die Fülle erfreulicher Eindrücke geäußert. Und am dritten Tag sagte er: „Wir befinden uns hier in einer treuen deutschen Stadt“. Daß die Stadt Posen viel mehr polnisch als deutsch ist, konnte während der Festtage das schärfste Auge nicht merken. – Hatten die Beamten gelobt, ihm Schaustücke vorzuführen oder ihm Wahrheit zu geben? Wenn sie nicht blind sind, müssen sie doch die Folgen der illuminierten Politik sehen, die in Deutschland jedes schlichte Gefühl verwirrt. Hätte man dem Kaiser die Stadt Posen ungeputzt gezeigt, dann hätte er gefragt: Wie kommt es, daß die Polen mir jetzt sogar das äußere Zeichen der Ehrerbietung verweigern? Dann mußte ein furchtloser Mann vortreten und sprechen: Man hat die Leute unklug behandelt. Euer Majestät Ahnherr hatte ihnen 1815 zugerufen „Ihr werdet meiner Monarchie einverleibt, ohne Eure Nationalität leugnen zu dürfen.“ Jetzt hat man, statt die Deutschen zu stärken, die Polen zu Deutschen zu machen versucht und, da dieser Plan scheiterte, sie dem König als unbotmäßig, als freche Empörer geschildert. – Das bunte Licht ist erloschen, die Bühne abgeräumt, der alte Jammer, der alte Hader geht weiter. Und dieselben Beamten, die wochenlang mit der Inszenierung des Manöverfestes beschäftigt waren, werden wieder vor die Aufgabe gestellt, ihre Volksgenossen gegen die wachsende Kraft der jungen polnischen Bourgeoisie zu schützen.

Quelle:
Broszat, Martin
"Zweihundert Jahre deutsche Polenpolitik"
Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1972
S. 172

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