Zitat

Deutsche & Polen

1939-1944

1939 war meine Heimat plötzlich „Reichsland“ geworden und hieß nun „Südostpreußen“. Bald kamen die fortschreitende Demütigungen und das Bewußtsein, dass man von keinem Recht geschützt ist. Im Frühjahr 1940 wurde mein Großvater verhaftet und ins Konzentrationslager Gusen gebracht. Er war damals 66 Jahre alt. Ein paar Wochen später fuhren vor das Haus meiner Großmutter ein Pkw mit deutschen Polizisten und ein Lkw vor. Alle Insassen wurden aufgefordert, das Haus innerhalb einer Stunde zu verlassen. Jeder durfte zehn kg Gepäck mitnehmen. Es handelte sich um meine Großmutter , ihre zwei Töchter - Offiziersfrauen, deren Männer sich in deutscher bzw. sowjetischer (1943 fanden wir seinen Namen auf der Liste der in Katyn ermordeten polnischen Offiziere) Gefangenschaft befanden, sowie drei Kinder. Alle wurden in das Generalgouvernement ausgesiedelt. Die Landwirtschaft meines Großvaters hat ein Baltendeutscher übernommen. Im August bekamen wir ein Telegramm, vom Lagerkommandanten Ziereis unterschrieben, mit der Mitteilung, dass der Schutzhäftling B.K. an Herzschlag gestorben sei. Telegramme mit gleichem Text bekamen innerhalb einer Woche Familien aller zusammen mit meinem Großvater internierten Polen aus der Nachbarschaft.

Im Mai 1940, als ich 14 Jahre alt und damit arbeitspflichtig wurde, begann meine berufliche "Karriere": Ich wurde als Laufbursche in der Heeresstandortverwaltung angestellt. In dieser Institution arbeiteten fünf bis sechs uniformierte Zahlmeister und Verwaltungsinspektoren, vier bis fünf deutsche Zivilangestellte, zwei polnische Schreibhelferinnen und ich - der Laufbursche Slawek. Die Arbeitszeit war von 7 Uhr bis 18 Uhr mit einer Stunde Mittagspause. Dort lernte ich die Deutschen kennen, wie sie wirklich sein konnten. Alle waren nett zu mir, ich bin nie demütigt worden, niemand hat ein böses Wort an mich gerichtet. Anders die deutschen Polizisten: sie waren brutal, grausam und rücksichtslos. Die Beispiele dafür könnte ich aus eigener Erfahrung liefern.

Am 8. September 1942 wurde ich von der Gestapo festgenommen und in Untersuchungshaft gebracht. Ich war damals 16 Jahre alt. Gleichzeitig verhafteten sie meinen Vater. Die Gestapo hat mich nicht ernst genommen. Verhört wurde ich erst nach einem Monat. Die Vernehmung war nicht "verschärft" und dauerte nicht mehr als eine Stunde. Ich habe nur ein paar Ohrfeigen und einen Peitschenhieb bekommen. Man hat mich gefragt, ob ich was von einer geheimen Organisation wisse, wer meinen Vater besuchte usw. Anders sah die Sache mit meinem Vater aus. Er wurde schrecklich gefoltert und wiederholt vernommen. Nach zwei Monaten hat man ihn in ein anderes Gefängnis gebracht. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Nach meiner Freilassung gegen Ende November suchte ich meinen Arbeitgeber auf. Ich war in der Zwischenzeit entlassen worden, mein Chef versicherte mir aber, dass er mich wieder anstellen werde, wenn ich es nur wolle. Er war sicher, dass auch mein Vater bald aus der Haft entlassen werde. Übrigens sagte er, „alles, was euch passierte, ist eine große Schweinerei.“ Zwei Monate später, als ich schon im Generalgouvernement war, erfuhr ich, dass mein Vater und vier andere Männer am 17 Dezember in Pultusk öffentlich hingerichtet worden waren. Am selben Tag fanden in allen Städten des damaligen Südostpreußens ähnliche Hinrichtungen statt.

Im Generalgouvernement wohnte ich in Radom. Meine verhältnismäßig gute Kenntnis der deutschen Sprache und Geläufigkeit im Maschinenschreiben waren ein Vorteil, und nach ein paar Tagen bekam ich eine Stelle in der polnischen Stadtverwaltung. Im Frühjahr 1943 habe ich entsprechende Kontakte geknüpft, und im Sommer wurde ich als Mitglied der Heimatarmee vereidigt. In dieser Zeit habe ich auch meine zukünftige Frau kennengelernt. Ich war nicht nur durch Ihre Schönheit beeindruckt sondern auch davon, dass sie in der Kriegszeit das Lernen nicht vernachlässigte und am geheimen Schulunterricht teilnahm. Ich wußte, dass ihr Vater im Konzentrationslager Majdanek inhaftiert war; Majdanek war ein Lager von besonders schlechtem Ruf. Mein Schwiegervater, den ich nie kennen lernte, starb dort schon nach kurzer Zeit. Nach dem Krieg habe ich seinen Namen in einem Erinnerungsbuch gefunden. Dort stand, dass ihn ein Wachmann totgeschlagen hatte.

Als ich am letzten Tag des Jahres 1944 aus der Untergrundarmee nach Radom zurückkam, fand ich dort meine seit ihrer Heirat im Jahre 1942 in Warschau lebende Schwester. Ihr Ehemann, ein Arzt, war seit November 1943 im Konzentrationslager Mauthausen. Nach der Niederwerfung des Warschauer Aufstandes wurde sie - wie die gesamte Bevölkerung Warschaus - aus der Stadt vertrieben. Sie kam also mit ihrem einjährigen Töchterlein nach Radom. Ihr Besitz war gleich Null. Die Ostlegionäre hatten ihr sogar den Ehering abgenommen. Am 12. Januar 1945 haben die Sowjets ihre Winteroffensive begonnen. Vier Tage später marschierten sie in Radom ein. Mit einem Deutschen sprach ich erst nach sechs Jahren wieder. Er war ein DDR-Sportler, der mit seinem Team im Riesengebirge Skilaufen trainierte.

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