Zitat

Deutsche & Polen

Wortmeldung als Zeitzeuge für einen Abschnitt deutsch-polnischer Geschichte

Harri Czepuck
Wortmeldung als Zeitzeuge für einen Abschnitt deutsch-polnischer Geschichte

Ich würde gern auf ein sicherlich kleineres aber doch interessantes Problem zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen hinweisen, das ähnlich, wie es bei den Beziehungen DDR-Polen geschieht, zu Unrecht in Vergessenheit gerät oder zumindest nicht immer richtig eingeordnet wird: Es handelt sich um jene 40.000 deutschen Kriegsgefangenen, die 1945 von der sowjetischen Armee an Polen übergeben wurden. Der Grund für diese Übergabe war erstens, dass sich diese ehemaligen deutschen Soldaten am 2. August 1945 in Lagern befanden, die nun nach den gemeinsamen alliierten Abmachungen von Yalta und Potsdam über die neue polnische Westgrenze auf polnischem Territorium lagen. Zweitens sollten diese Kriegsgefangenen im Rahmen der Reparationsleistungen für Polen an wirtschaftlichen Schwerpunkten des Wiederaufbaus des von den deutschen Faschisten zerstörten Landes Wiedergutmachungsarbeit leisten. Das geschah vor allem beim Einsatz in den oberschlesischen Steinkohlengruben, zu einem geringeren Teil auch beim Wiederaufbau der zerstörten Hauptstadt Warschau.

Ich gehörte zu diesen 40.000 ehemaligen deutschen Soldaten, war im Kessel von Halbe (südlich Berlins) in sowjetische Gefangenschaft geraten und erlebte das Kriegsende im Sammellager Zagan (Sagan). Am 2. August befanden sich etwa 10.000 Kriegsgefangene in einem Lager in der Nähe des ehemaligen niederschlesischen Christianstadt (Bober), wo wir von Mai bis Juli eine Munitionsfabrik demontieren und in die Sowjetunion als Reparationsgut verladen halfen. Danach wurden wir EndeAugust/Anfang September von polnischen Soldaten übernommen und auf - vorsichtig ausgedrückt - nicht sehr bequeme Art und Weise nach Oberschlesien ins Steinkohlenrevier transportiert. Was sich in dieser Zeit an antipolnischen Ressentiments bei den Betroffenen anstaute, war, wie sich jeder vielleicht vorstellen kann, schon beachtlich. Sie wurden keineswegs durch den Arbeitseinsatz, der dann in den verschiedenen Gruben im Dreieck zwischen Rybnik, Zabrze und Gliwice stattfand, abgebaut.

Ich habe diese Zeit ausführlich in meinem autobiographischen Buch (Harri Czepuck, Meine Wendezeiten - Erinnerungen Erwägungen Erwartungen Karl Dietz Verlag Berlin 1999 ISBN 3-320-091971-6) auf den Seiten 81 bis 130) geschildert. Ich will deshalb nur kurz vermerken, wie durch manchmal heftige Diskussionen versucht wurde, ein einigermassen gerechtes Geschichtsbild zu schaffen. Ein wichtiges Argument, was nach und nach immer mehr Kriegsgefangene nachdenken liess, war, wie es immer wieder z.B. auch von den unseligen Landsmannschaften vergessen wird: Hätte es den deutschen Überfall 1939 nicht gegeben, gäbe es weder deutsche Kriegsgefangene in Polen noch Flüchtlinge oder Vertriebene oder Umsiedler. Statt über die Frage nachzudenken (sie ist auch heute aktuell): was bringt uns ein Krieg, stellten viele gewissermassen Wiedergutmachungsansprüche an die mitverschuldete Geschichte.

Dieser Auseinandersetzung habe ich mich zusammen mit anderen antifaschistisch und antimilitaristisch gesonnenen Kameraden damals gestellt. Dabei erhielten wir über die heute viel geschmähte Polnische Vereinigte Arbeiterpartei durch die noch mehr geschmähte SED Unterstützung. Beide Parteien versuchten durch die in dem Zentrallager Warschau dann von 1948 bis 1949 organisierte und durchgeführte Aufklärungs- und auch Schulungsarbeit, sogar mit einer deutschsprachigen Zeitung (an der ich mitarbeitete) unter den deutschen Kriegsgefangenen dazu beizutragen, dass es zwischen Deutschland und Polen keine Auseinandersetzungen, die mit Teilungen, Auflösung des polnischen Staates und Krieg endeten, mehr geben sollte. Ganz nebenbei wurde damals durch diese Zusammenarbeit der beiden Parteien auch die soziale Lage der Kriegsgefangenen verbessert.

Damals freilich war nicht so klar, dass eine Aussöhnung gelingen würde. Zu der Zeit, als die Ostzone und spätere DDR sich mühte, ein gutnachbarliches Verhältnis zu Polen herzustellen, gründeten sich in den Westzonen Landsmannschaftsverbände ja, sogar Parteien, die später zeitweilig Koalitionspartner der Bundesregierung wurden, die sich mit den Ergebnissen des von Deutschland angefangenen und bedingungslos verlorenen Krieges nicht abfinden wollten. „Deutschland - Dreigeteilt - Niemals“ hiess damals eine der verhängnisvollen Losungen, die mit Militanz gerade in der Periode der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik vertreten wurde. (...) Wer das alles erlebt hat (...), der kann einfach nicht verstehen, wie heute mit der Nachkriegsgeschichte deutsch-polnischer Beziehungen seitens der DDR und seitens der BRD - übrigens leider auf beiden Seiten der Oder-Neisse-Grenze - umgegangen wird. Man wirft z.B. den beiden sozialistischen Regierungen vor, dass dies alles „kommandiert“ worden sei. Nur weil sie beide „kommunistisch“ gewesen seien, hätte es eine scheinbare Freundschaft gegeben.

Dazu meine Meinung als Zeitzeuge, die ich auch schon oft - bis heute - meinen Freunden in Polen gesagt habe: Was wäre wohl gewesen, wenn die jetzt so geschmähte DDR nicht existiert hätte und Deutschland , wie es z.B. Adenauer aber auch anderen vorschwebte, eine direkte Ostgrenze mit Polen gehabt hätte, damals in jenen von Revanchismus und Aufrüstung geprägten Zeiten des Kalten Krieges ? Wieso war es so schlimm, dass zwei Staaten mit einer antikapitalistischen Ordnung sich über künftige friedliche Nachbarschaft verständigten? Darf so etwas nur zwischen zwei kapitalistischen Staaten geschehen (...)? Ich habe versucht, als Zeitzeuge für mich und auch viele andere, die ich erreichen konnte, diese Frage anders - positiver als dies heute geschieht - zu beantworten. Und dass trotz manch bitterer Erfahrung auch in der Kriegsgefangenschaft, weil ich nicht, wie es in heutigen Darstellungen der deutsch-polnischen Geschichte auch durch Historiker oft passiert, Ursachen und Wirkungen verwechsle.

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