Zitat

Deutsche & Polen

Helmut Schmidt, die DDR und Polen

Heinrich-August Winkler
Biografie

Wenn Bundeskanzler Helmut Schmidt gewusst hätte, dass just zu der Zeit als er sich in der DDR aufhielt, das Kriegsrecht in Polen verhängt werden würde, wäre er bestimmt nicht gefahren. Aber nachdem er dort war, konnte er nicht plötzlich abreisen, wie ihm das damals Franz Josef Strauß empfahl. Wäre er plötzlich abgereist, dann wären die Leidtragenden die Deutschen in der DDR gewesen. Die wären dann einem verschärften Druck des Regimes ausgesetzt gewesen. Die Entspannung wäre dann wirklich am Ende gewesen. In gewisser Weise haben alle Bonner Regierungen die Deutschen in der DDR als eine Art von Geiseln wahrgenommen. Auf sie galt es Rücksicht zu nehmen. Die menschlichen Erleichterungen, die man bereits erreicht hatte, die sollten nicht gefährdet werden. Dieses deutsche Interesse an einer günstigen Großwetterlage, das stand immer im Vordergrund. Auch wer sich mit der Existenz von zwei deutschen Staaten abgefunden hatte, stellte doch dieses deutsch-deutsche Interesse an möglichst guten Beziehungen in den Vordergrund. Dem wurde alles andere untergeordnet - und eben auch die Bürgerrechtsbewegungen. Denn alles, was die Regimes in den osteuropäischen Hauptstädten verunsicherte, galt als entspannungsgefährdend. Das in der Tat war die Kehrseite der Ost- und Entspannungspolitik, für die es ja durchschlagend gute Gründe gab, als sie Ende der 60er Jahre in Angriff genommen wurde.

Quelle:
Stubenrauch, Jens
"Interview mit Heinrich-August Winkler, Historiker, Humboldt-Universität Berlin"
ORB, 2002

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