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Deutsche & Polen

Die Bundesrepublik und Solidarnosc

Heinrich-August Winkler
Biografie

s gab Sozialdemokraten, auch prominente Sozialdemokraten, die Solidarnosc zunehmend als Störfaktor begriffen. Es war ja auch eine eigentümliche Arbeit der Bewegung, die sich da formiert hatte - katholisch und national. Das hat auf manche Sozialdemokraten irritierend gewirkt. Der Architekt der sozialdemokratischen Ostpolitik Egon Bahr war nicht der einzige, der die Polen immer wieder daran erinnerte, dass auch sie das Primat des Weltfriedens und der europäischen Stabilität anerkennen müssten. Das ging bei manchen so weit, dass sie sich ganz auf Kontakte mit Parteiführungen und Regierungen im Osten beschränkten und die Bürgerrechtsbewegungen links liegen ließen. Das hat gerade auch in Polen viele verbittert, die sich selbst als Sozialdemokraten fühlten. Man kann auch im Rückblick sagen, diese einseitige Betonung von Stabilitätsinteressen, die ja vorrangig deutsche Interessen waren, die ist kein Ruhmesblatt in der Geschichte der sogenannten zweite Phase der Ostpolitik in den 80er Jahren. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich vor etwa zwei Jahren in einer Rede im polnischen Sejm selbstkritisch dazu geäußert. Er hat eingeräumt, dass viele Sozialdemokraten die Freiheitsimpulse in Polen nicht ernst genug genommen haben. Er hat das in einer sehr selbstkritischen Weise gesagt. Das war eine notwendige Erklärung, die versöhnend wirkte auf diejenigen, die damals vergeblich auf mehr sozialdemokratische Unterstützung gehofft hatten. Kaum ein Sozialdemokrat, überhaupt kaum ein deutscher Politiker hat in der ersten Hälfte der 80er Jahre erkannt - vielleicht auch nicht erkennen können - dass das , was sich da in Polen abspielte, das Vorspiel werden könnte zu einer großen Freiheitsbewegung, die ganz Ost- und Mitteleuropa erfassen würde. Aber genau das passierte, nachdem die Weichen im Kreml neu gestellt wurden, 1985, in dem Jahr als die Ära Gorbatschow begann.

Quelle:
Stubenrauch, Jens
"Interview mit Heinrich-August Winkler, Historiker, Humboldt-Universität Berlin"
ORB, 2002

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