Zitat

Deutsche & Polen

Das Volk der Oberschlesier

Alfons Nossol
Biografie

Die Schlesier hatten immer einen Dialekt, ähnlich wie in verschiedenen Teilen der Bundesrepublik. Beim Schlesiendialekt besteht der Klang der einzelnen Worte aus drei Sprachen, der polnischen, der böhmisch-mährischen/tschechischen und der deutschen. Es gibt bei uns Worte, die man sonst in ganz Deutschland nicht findet, auch in ganz Polen nicht. Wenn man echt schlesisch spricht, wird man im literarischen Polnisch kaum verstanden. Als ich während meines Studiums in Lublin nach einem halben Jahr nach Hause zurückkehrte, sprach ich literarisches Polnisch. Meine Mutter sagte: “Nanu, paar Wochen weg gewesen und schon vergessen, wie wir zu Hause zu sprechen pflegen?“ Sie hatte mich nicht verstanden. Das war für mich eine Lehre. Jedes Mal, wenn ich die Schwelle zu meinem schlesischen Elternhaus überschritt, stellte ich automatisch auf den schlesischen Dialekt um. Bei Versöhnung geht es auch um diese drei Kulturdimensionen, die deutsche, polnische und mährische. Hier erscheinen sie als etwas komplexeres, zutiefst versöhnliches. Sie treten auf als versöhnte Verschiedenheit oder versöhnte Vielfalt. Das ist der Reichtum unseres Landes. Drittens ist es die Versöhnung dreier Nationen, dreier Völker, den Deutschen, den Polen und denjenigen, die immer mit Mähren verbunden waren. Das ist etwas natürliches. Das ist nichts, zu dem uns jemand gezwungen hätte. Es hat sich im Laufe der Generationen ergeben. Man ist stolz darauf, dass man diese kulturelle Dreidimensionalität in einer Persönlichkeit hat, in der Persönlichkeitsgeschichte, im eigenen Lebenslauf. Es ist eine enorme Bereicherung. Jede Bereicherung, die einem geschenkt wird, wird einem nicht gratis geschenkt. Dafür muss man wie es so herrlich auf Hochdeutsch heißt - auch blechen. So ist es auch mit der kulturellen Dreidimensionalität. Auswärts wollte man uns nicht als echte Polen, Deutsche oder Mähren nehmen. Wir waren immer zwischen Himmel und Erde lokalisiert. Das war der Nachteil. Aber es war lohnend diesen Nachteil hinzunehmen, dank dieser großen Bereicherung. Denn Schlesien war - und wird es immer bleiben - eine Brücke in Europa. Gerade jetzt, in Hinblick auf die europäische Vereinigung: Der Vereinigungsprozess Europas als Gemeinschaft des Geistes. Wir waren immer, dank dieser Dreidimensionalität, eine Brücke. Dank dem Versöhnungsgeschehen in kultureller, ethnischer, nationaler aber auch in konfessioneller Hinsicht waren wir immer eine Brücke. Doch das Leben ist hart: Auf einer Brücke pflegt man nicht zu wohnen, auf eine Brücke tritt man. Das habe ich in meinem eigenen Leben hier, wo ich diesen Menschen als Bischof zu dienen habe. Oft musste ich Blitzableiter spielen, aber auch das obliegt einem Bischof - damit andere nicht zu Schaden kommen. Aber es ist lohnend Opfer auf sich zu nehmen, um die geschichtliche, kulturelle und historische Bereicherung zu erfahren.

Quelle:
Stubenrauch, Jens
"Interview mit Alfons Nossol, Bischof des Bistums Oppeln"
ORB, 2002

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