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Deutsche & Polen

Die Ruhrpolen und die Religion1

Valentina Maria Stefanski
Biografie

Ich glaube, das größte Problem war die Seelsorge. Es ist bekannt, dass die Polen sehr gläubig sind, eine große Marienverehrung betreiben. Die waren in der ersten Zeit vollkommen ohne Seelsorge. Der erste Priester, den eine Zeche aus Bottrop herkommen ließ, war ein Josef Kantezka. Den hatte die Zeche für ihre Belegschaftsmitglieder ins Ruhrgebiet geholt. Aber er war nur kurz hier. Ich glaube, er hatte das nicht verkraftet. Der Andrang! Die Leute wollten beichten, wollten zur Kommunion gehen. Er war nur kurze Zeit hier. Dann kam der nächste Priester. Nein, für zehn Jahre gab es überhaupt keinen. In dieser Zeit wurden polnische Priester oder Priester die polnisch sprachen heimlich aus Holland ins Ruhrgebiet geholt. Da wurden die Messen in Kneipen oder Privathäusern gefeiert, die Beichte abgenommen und die Kommunion erteilt. Das waren zehn Jahre. Das war für die gläubigen Polen wirklich eine schlimme Zeit. Es gab die katholischen Kirchen. Sie konnten in die deutschen Messen gehen, die damals noch auf Latein abgehalten wurden. Beichten konnten sie nicht, weil sie der deutschen Sprache nicht mächtig waren. Sie konnten ihre polnischen Lieder nicht singen. Das muss eine schlimme Zeit gewesen sein. Ich kann mir das lebhaft vorstellen. Das war in der Zeit von '72 bis '83. 1883 wurde der erste hauptamtliche Priester in Bochum vom Bischof in Paderborn eingesetzt. Das war ein Jozef Szopowski. Dieser Jozef Szopowski nahm sich seiner Leute an. Sie hatten sich nach der Messe, die sie gefeiert hatten, vor der Kirche getroffen. Hatten miteinander geredet, sprachen: Ach wie schön es war, dass wir unsere Lieder singen können! Dieser Szopowski kam dann auf diese Idee. Er sah die Vereine, die es in Deutschland gab. Es gab Kirchenvereine, es gab Gesangsvereine. Er sagte: Wir können so was ähnliches machen. Er war der erste, der polnische Vereine gründete in den Gemeinden. Von 1883 bis 1889 konnte er währen. Das war die Zeit des Kulturkampfes. Er stand unter Bewachung. Alles, was er tat, wurde kontrolliert, wurde eifrig notiert.

Quelle:
Stubenrauch, Jens
"Interview mit Valentina Maria Stefanski, Ruhrpolin/Westfalczyczka"
ORB, 2002

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