Zitat

Deutsche & Polen

Peter Glotz in seinem Artikel „Wider den Nationalismus“ (FAZ 11.8.2003)

Der spontane Impuls beim Durchmustern der Debatte über ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ ist Erstaunen und Ärger. Können manche Leute nicht lesen? Wollen sie nicht zur Kenntnis nehmen, was nicht zu ihren feststehenden Auffassungen paßt? Die Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ hat sehr bewußt den Vertreibungsbegriff im Plural benutzt. Sie will keineswegs nur die Vertreibung der Deutschen 1945 und 1946 thematisieren. Sie hat klar gesagt, daß sie auch Zwangsaussiedlungen, Deportationen, Abschübe und „Umvolkungen“ vor 1945 aufgreifen will, einschließlich der brutalen Bevölkerungsverschiebungen, die Hitler betrieb (und plante). Sie will sich mit der Vertreibung der Krajina-Serben durch Franjo Tudjman genauso beschäftigen wie mit der „ethnischen Säuberung“, die Milosevic im Kosovo plante, und jener, die die albanische UCK und ihre Nachfolgeorganisationen gerne durchsetzen würden, wenn die Internationale Gemeinschaft sie nicht daran hinderte. Und selbstverständlich darf keiner der Vertreibungsvorgänge aus dem historischen Zusammenhang gelöst und mit der Tendenz von Aufrechnung und Relativierung dargestellt werden. Die Vertreibung von 13 Millionen Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg darf nicht so diskutiert werden, daß sie dem einmaligen Verbrechen des industrialisierten Judenmordes durch Hitler-Deutschland gleichgestellt würde. All dies haben die Initiatoren der Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“, Erika Steinbach und ich, hundertmal gesagt und oft genug aufgeschrieben. Warum glaubt man uns nicht? Wir hätten den aufgescheuchten Schwarm von Historikern, Journalisten und Geschichtspolitikern ja nicht gehindert, schon vor Jahren ein „Europäisches Zentrum gegen Vertreibungen“ in Breslau (Wroclaw), Görlitz (Zgorzelez) oder Aussig (Usti nad Labem) zu gründen. Sie haben es nicht gegründet. Warum bringen sie uns, die wir dieses wichtige Thema aufgegriffen haben, im Zusammenhang mit Aufrechnungs-, Relativierungs-, und Revanchismustendenzen, mit denen wir nicht zu tun haben wollen?

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