Thorner Blutgericht: Auseinandersetzungen zwischen Jesuitenschülern und evangelischen Bürgern führen zu scharfen Maßnahmen gegen die Evangelischen, darunter auch zu einigen Todesurteilen. Eine internationale Protestwelle läßt Polen nun als Hochburg der religiösen Intoleranz erscheinen, obwohl diese tatsächlich nicht das Ausmaß wie im sonstigen Europa erreicht.
Das Flugblatt zeigt schreckliche Bilder, Menschen werden geköpft, gevierteilt, überall liegen Leichenteile herum. Eine große Menschenmenge nimmt an dem Spektakel teil. In polnischen Schulbüchern heißt das tragische Ereignis der Thorner Tumult, deutsche Historiker haben es das Thorner Blutgericht genannt. Im Jahr 1724 befinden sich Thorn und seine Kassen und damit seine Stadtväter in einer schweren Krise. Der von August II. angezettelte Nordische Krieg und
zahllose Truppendurchzüge, diverse Staatsbesuche des Königs und des Zaren und die Pest haben die Stadt ruiniert. Mit extremen Steuern versucht der Stadtrat zu retten, was zu retten ist. Die Spannungen zwischen deutschen protestantischen Bürgern, die in der Mehrheit den Stadtrat stellen und den polnisch katholischen Bürgern haben ihre Wurzeln in den Spannungen des katholisch dominierten Staats. In dieser Situation findet am 16.Juli 1724 in Thorn, wie jedes Jahr, die katholische Fronleichnamsprozession statt. Schaulustige protestantische Jugendliche beobachten den Umzug. Ein eifernder Jesuitenschüler schlägt ihnen, da sie ihr Haupt nicht ehrfürchtig entblößt haben, unter Austeilung von Ohrfeigen die Hüte vom Kopf. Die Angelegenheit eskaliert, weitere Jesuitenschüler treten auf den Plan, attackieren den protestantischen Bürgermeister Roesner, und bedrohen andere involvierte Bürger mit ihren Säbeln, nehmen eine Geisel, Schüsse fallen. Aufgebrachte und bezechte protestantische und meist
deutsche Bürger stürmen Schule und Kloster, wo sie alles verwüsten. Mobilar, Einrichtungen, Altäre. Heiligen- und Marienbilder werden unter Gespött verbrannt. Ein Eingreifen der Staatsgewalt findet nur sehr zögerlich statt und verhindert nichts. Die Jesuiten führen Klage vor dem Warschauer Hofgericht und erhalten Recht. Auf Schändung von
Heiligtümern steht nach polnischem Recht die Todesstrafe. Vierzehn Personen werden zum Tode verurteilt, zwei Bürgermeister und 12 Handwerker. Vier von ihnen soll vor der Vollstreckung die rechte Hand abgeschlagen, einer soll gevierteilt und alle sollen geköpft werden. Der Prozess und die Urteile empören die protestantischen Fürsten Europas. Graf von Schwerin schlägt dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. vor, mit preußischen Truppen einzumarschieren. „Ich habe kein Recht da und also meliere ich mich nit darin,“ erwidert dieser. Aber er organisiert internationalen Protest von England, Dänemark, Schweden, Frankreich und Russland. Bündnisse werden geschmiedet, ja fast kommt es zum Religionskrieg. Aber die Allianzen zerfallen wieder und die Proteste bleiben ungehört. Bis zuletzt hoffen die Verurteilten auf Gnade durch König August II. Doch dieser will wie immer, kein schlechterer Katholik sein als die Polen. Er hätte gern, so wird
berichtet, gewünscht, dass die „Conjuncturen“ es zugelassen, ein nicht so strenges Urteil zu sprechen, oder es wenigstens in der Vollstreckung zu mildern.
Bei der Unterzeichnung einer einzigen Begnadigung soll er gesagt haben: „Wollte Gott, ich könnte für alle übrigen bereits exekutierten Pardon unterschreiben.“
Eine Begnadigung, zwei gemilderte Urteile, einer kann fliehen, alle hatten es abgelehnt, ihren Glauben zu wechseln und Katholiken zu werden. Im Dezember des Jahres 1724 werden 10 Todesurteile durch Köpfen mit dem Schwert vollstreckt, die Körper auf dem Schindanger verbrannt. Hunde tragen die Knochen durch die Stadt. Die protestantische Marienkirche und das Gymnasium werden geschlossen und den Jesuiten übereignet. Erst zwanzig Jahre später dürfen die Thorner Protestanten ein Bethaus errichte. Es darf auf keinen Fall wie eine Kirche aussehen, bestätigt der Nachfolger des Königs, August III. die Reglementierung durch die Warschauer Behörden. Das Thorner Blutgericht wird teutonischen Politikern in den nächsten zwei Jahrhunderten als Argument für die Notwendigkeit dienen, deutsches Christentum im Osten durch drastische Germanisierung und militärisches Eingreifen zu schützen.