Das Prinzip der "doppelten Mehrheit" hat sich durchgesetzt.
Nach einjährigem Tauziehen brachte der in Brüssel tagende EU-Gipfel einen Kompromiß über die Gestaltung der „Verfassung für Europa“. Der Hauptstreitpunkt, die doppelte Mehrheit, wurde dadurch gelöst, daß die Schwelle für Mehrheitsentscheidungen im EU-Rat von 50 auf 55 Prozent der Regierungen und von 60 auf 65 Prozent der von diesen Regierungen repräsentierten EU-Bevölkerung angehoben wurde. Polen hatte zuvor auf der Regelung des Vertrages von Nizza bestanden, der dem Land 27 Stimmen zugestanden hätte, nur zwei weniger als Deutschland mit 29. Erst im März hatte die Abwahl der
konservativen Volkspartei in Spanien die polnische Regierung ihres wichtigsten Verbündeten beraubt und sie zur Anerkennung des Prinzips der doppelten Mehrheit bewegt.
Neben der Anhebung der Schwellen bei der Zahl der Regierungen und beim Bevölkerungsanteil gelten weitere Klauseln für Mehrheitsentscheidungen: um kleinere
Sperrminoritäten zu ermöglichen, soll zunächst die Verhinderung von Mehrheitsbeschlüssen bei drei Vierteln der notwendigen Prozentzahlen möglich sein. Außerdem sollen sich zur Verhinderung eines Beschlusses mindestens vier Staaten zusammenschließen müssen, was eine Beeinträchtigung der größten EU-Staaten darstellt.
Ein weiterer Erfolg aus polnischer Sicht ist die Beibehaltung des Einstimmigkeitszwanges in der Außen- und Sicherheitspolitik. Den u. a. von Polen geforderten Gottesbezug wird die Verfassung hingegen nicht enthalten, zu unnachgiebig war in dieser Frage die Haltung Frankreichs.
Der polnische Ministerpräsident Marek Belka verteidigte vor dem Sejm das Verhandlungsergebnis: „Mehr ging nicht“, entgegnete er den Vorwürfen der national-konservativen Opposition, der Kompromiß sei eine „Schande“ und „Verrat“. Er verwies auf die Risiken, die eine Ablehnung bei den Verhandlungen um den EU-Haushalt für Warschau bedeutet hätte. In Brüssel hatte er die Hoffnung geäußert, daß die überholte Verfassung für die polnischen Wähler annehmbarer sei als der
vorherige Entwurf. Er berührte damit das noch ausstehende Problem der Ratifizierung, denn die Regierungskrise und die Erfolge der Europagegner bei der Europawahl vom 13. Juni lassen die Absegnung der Verfassung, ob nun in einem Referendum oder einem Parlamentsentscheid, alles andere als sicher erscheinen.