In seiner Eigenschaft als Jurist im Staatsdienst ist E.T.A.Hoffmann im preußisch besetzten Posen, später in Plock und Warschau tätig. Einer Legende nach ist er für manche skurrilen Namen, die an Juden vergeben werden mussten, verantwortlich.
Die Leute auf der Zeichnung sehen aus wie Vogelscheuchen. Warschauer Kollegen des Gerichtassessors E.T.A.Hoffmann, von ihm selbst gezeichnet. Ähnliche Karikaturen, die 1802 zu einem Skandal führen, sind leider verschollen. Sieben Jahre nach der letzten Teilung, im Jahr 1800, Hoffmann hat gerade das Assessor-Examen bestanden, tritt er im preußisch besetzten Posen in den Staatsdienst ein. Er heiratet eine Polin, die Tochter des
hiesigen Stadtschreibers Michalina Trzcinska (Maria Thekla Rorer-Trzynska, "Micha"). Ein "sehr liebes Weib", wie er an Freund Hippel schreibt. Eine gutmütige, warmherzige Frau, die ihm zwanzig Jahre lang zur Seite steht. Leider existiert von ihr kein Bildnis. In Posen träumt der Gerichtsassessor von gewaltigen Projekten, komponiert erste kleine Werke, die in Posen ihre Uraufführung erleben, dichtet, zeichnet. Mit spitzem Stift attackiert der innerlich zerissene Jurist-Dichter-Komponist-Zeichner Kriechertum und Dünkel seiner Beamten-Kollegen. Mit dem Karneval von 1802 findet die Posener Zeit ein jähes Ende. Mit Karikaturen mokiert er sich über die Spitzen der Posener Gesellschaft. Eine Eilstafette geht nach Berlin ab, die bereits ausgestellte Promotionsurkunde wird annulliert, Hoffmann nach Plock strafversetzt. "Exil" in Plock, er fühlt sich hier "lebendig begraben". Neben der ordentlichen Berufsarbeit widmete er viel Zeit der Kunst - seiner
wahren Berufung. Nebenbei zeichnet, komponiert, dichtet er, "freylich alles nur schlecht". 1803 wird ein erster Text Hoffmanns, der Essay „Briefe eines Klosterschülers an seinen Freund in der Hauptstadt“ in der Berlinischen Zeitung veröffentlicht. Hoffmann konzertiert oft in der Kirche des Norbertiner Nonnenklosters. Abends spielt er Klavier in
seiner Wohnung am Marktplatz, wo heute eine Gedenktafel an ihn erinnert. Er malt Portraits, zeichnet Karikaturen des "Plocker Publikums". In Plock spricht Hoffmann erstmals von "Todes Ahndungen -Doppeltgänger". Dieses "Doppelgängermotiv" hat sicher seinen Ursprung in seiner Doppelexistenz als Tagmensch (Beamter) und Nachtmensch (Künstler). Die erzwungene Spaltung zerstört zunehmend seine Persönlichkeit, er wird zum Kneipengänger. Auf einem skurrilen Selbstporträt notiert er voller Selbstironie alle Leiden und Makel. Nur nachts kreativ, wendet er sich den "Nachtseiten" des Lebens, dem "Unheimlichen" und "Sonderbaren" zu. Neben der Kirchenmusik ist seine einzige Freude der Besuch in der "Neuen Ressource", wo er oft zuviel vom "Bischofs-Wein" trinkt. Die Folgen dieses Rausches beschreibt J.E. Hitzig, Freund und Biograph.
1804 wird Hoffmann endlich als Regierungsrat nach Warschau versetzt. Er lebt im Samson-Haus
(Pod Samsonem, ul. Freta 5, damals 278). Hier erlebt er die vielleicht glücklichste Zeit seines Lebens. Weniger glücklich sind die Warschauer Juden, denen Hoffmann aufgrund eines preußischen Erlasses Nachnamen geben muss. Die Legende, dass diese Namen oft seiner skurrilen Phantasie und vielleicht auch mancher Katerstimmung entspringen, hält sich hartnäckig.
Noch Alfred Döblin wundert sich 1923 bei einem Warschaubesuch über Namen wie Geldfisch, Alfabet, Brandwain, Zweifuß, Kirschensaft, Nordwind – ohne zu ahnen, dass diese vielleicht von einem Berliner Dichterkollegen stammen könnten. Auf Hoffmanns Initiative hin wird die "Musikalische Gesellschaft" gegründet. Jozef Eisner, der Lehrer Chopins,
nimmt Kompositionen Hoffmanns in die polnisch Liedsammlung "Wybor pieknych dziel muzycznych i piesni polskich" auf. Hoffmann entwirft Bühnendekorationen und führt zum ersten Mal den Dirigentenstab. 1806
besetzen die Franzosen die Stadt. Hoffmann wohnt in der Dachkammer des Mniszech-Palais, dessen Musiksaal er mit Wandmalereien verziert. Er besucht die französischen Paraden auf dem Sachsenplatz und die polnischen Opern und sitzt gern im Lazienski-Park. Er plant große musikalische Werke mit Polonaisen, eine „Faust“-Oper, will Mozart und Gluck überflügeln. Als die Franzosen von den preußischen Beamten einen Ergebenheitseid fordern, verweigert sich Hoffmann. Hoffmann wird entlassen und kann sich jetzt ganz seinen Leidenschaften widmen. Die Polen von den Preußen befreit, die Juden von Hoffmann und Hoffmann vom verhassten Amt. Als sich 1815 das Blatt der Geschichte wendet, wird eine erneute Versetzung Hoffmanns nach Posen durch den Zaren verhindert. Eine Gedenktafel, die an Hoffmann erinnert, sucht man in Warschau vergebens. Versperrt der preußische Beamte Hoffmann den polnischen Blick auf den Dichter Hoffmann?