Viele Polen blieben aus Unzufriedenheit mit der Regierung zuhause.
Die Europawahl 2004 stand in Polen im Zeichen der innenpolitischen Dauerkrise. Die Wahlberechtigten nutzten die Gelegenheit, um ihre anhaltende Unzufriedenheit mit der Minderheitsregierung des seit Anfang Mai amtierenden Ministerpräsident Marek Belka zu demonstrieren. Knapp 80 Prozent blieben der Wahl ganz fern, mehr als bei jeder anderen Wahl seit der Wende von 1989/90. Gerade einmal 9,3 Prozent der Stimmen kamen auf die Liste des Regierungsbündnisses aus dem postkommunistischen Demokratischen Linksbund (SLD) und der Arbeitsunion (UP). Wahlsieger wurde die liberal-konservative Bürgerplattform (PO) mit 25,9 Prozent, die trotz einiger scharfer Worte gegen Brüssel als proeuropäisch anzusehen ist.
Ganz anders etwa die national-katholische Liga der polnischen Familien (LPR), die den EU-Beitritt als „Unterjochung“ bezeichnet und ihre antieuropäischen Kampagnen mit antideutschen Ausfällen anreichert, was ihr mit knapp 16 Prozent das zweitbeste Ergebnis einbrachte. Drittstärkste Kraft wurde mit 12,7 Prozent die ebenfalls antieuropäische
national-konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Deren Vorsitzender Lech Kaczynski rief die künftigen polnischen EU-Abgeordneten dazu auf, eine eigene Gruppe zu bilden, statt den jeweiligen Fraktionen beizutreten, so als wäre das Straßburger Parlament mit denen in Berlin, St. Petersburg und Wien um 1900 vergleichbar. Die guten
Ergebnisse von LPR und PiS gingen zu Lasten von Andrzej Leppers populistischer „Selbstverteidigung“ (Samobroona), der mehr als die letztlich erreichten 10,8 Prozent zugetraut worden waren.
Zusammen erreichten die Europagegner knapp 40 Prozent, dazu kamen die 6,3 Prozent der sehr euroskeptischen Bauernpartei (PSL). Ein Grund für dieses Ergebnis war sicher die geringe Mobilisierung der enttäuschten linken Wähler. Immerhin hatten im Sommer zuvor noch 77 Prozent für den EU-Beitritt gestimmt. Aber auch die Stimmung im Land spielte eine Rolle, denn nach wie vor sind die Sorgen um die Zukunft der Landwirte, um die wirtschaftlichen Beziehungen zu den östlichen Nachbarn und die Verstimmungen wegen des Irakkrieges nicht ausgeräumt.
Neben der populistischen Stimmungsmache im rechten Lager spielte auch der Kurs der vorherigen Regierung unter Leszek Miller (SLD) eine Rolle, der die Verhandlungen um den EU-Beitritt und um die EU-Verfassung als Kampf um Vorteile für Polen aufgefaßt und so die Vorstellung von einer den Polen feindlich gesinnten EU gestützt hatte.