Das Tauziehen um die Agrarpolitik dauerte bis zur letzten Minute.
Polens Mitgliedschaft in der Europäischen Union war eine der großen Perspektiven, die sich dem Land 1989/90 eröffnet hatten. Sie wurde von den verschiedenen Regierungen der 90er Jahre konsequent betrieben, und im März 1998 begannen die Verhandlungen zwischen den zehn Beitrittskandidaten und der Europäischen Union. Sie wurden durch Versprechungen erschwert, die Bundeskanzler Kohl und der französische Präsident Mitterand nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gemacht hatten, als sie Polen einen Beitritt für das Jahr 2000 in Aussicht stellten. Die polnischen Unterhändler wollten sich nicht ohne weiteres von diesen Aussagen verabschieden, obgleich ihr Land in mancherlei Hinsicht,
z. B. bei der Wettbewerbsfreiheit, der Korruptionsbekämpfung und dem Umweltschutz, hinterherhinkte. Die Schwierigkeiten gingen so weit, daß es immer wieder fraglich schien, ob Polen, das mehr als die Hälfte der 75 Mio. neuen EU-Bürgern stellt, zeitgleich mit den übrigen Kandidaten würde beitreten können.
Während der Verhandlungen stellten sich die Agrarsubventionen als Hauptstreitpunkt heraus. In Polen sind über 25 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt, wobei zahlreiche kleine Betriebe nicht mit denen in den alten EU-Ländern konkurrieren können. Die EU-Kommission wollte in einer Übergangszeit zunächst
geringere Direktbeihilfen an die Bauern zahlen als jene, die ihre Kollegen in den bisherigen EU-Staaten erhalten, ihnen andererseits aber noch vor dem Beitritt bei der Modernisierung ihrer Betriebe unter die Arme greifen. Die Vertreter Polens verwiesen hingegen darauf, daß der EU-Beitritt ihres Landes von der Zustimmung der – von Populisten aufgestachelten – Landbevölkerung abhinge, die sich nur durch Direktzahlungen in voller Höhe sicherstellen ließe. Zudem drohten sie mit der Schließung des polnischen Marktes für Agrarprodukte aus der EU. Noch am Abend der Unterzeichnung der Beitrittsvereinbarungen kämpfte Ministerpräsident Leszek Miller um bessere Bedingungen für Polens Bauern und erreichte die beträchtliche Steigerung der bares Geld werten Milchquote um 1 Mio. Tonnen. Eine Umleitung von Mitteln für die regionale Infrastruktur und ein Zuschuß aus Warschau erlaubte die Erhöhung der Direktbeihilfen von 25 auf 55 Prozent der in den alten EU-Ländern üblichen Höhe.
Ein anderer heftig umkämpfter Punkt, der allerdings schon früher hatte ausgeräumt werden können, war der Erwerb von polnischem Ackerland durch EU-Ausländer. Aus Angst vor einem Ausverkauf– nicht zuletzt an vertriebene Deutsche – erreichte Warschau eine Übergangsfrist von 12 Jahren, in denen eine Genehmigungspflicht bestehen bleibt.
Noch dazu muß ein potentieller Käufer in Westpolen sieben, in Ostpolen drei Jahre das betreffende Land gepachtet haben und es selber bewirtschaften. Andererseits mußten Polen und die übrigen Bewerber hinnehmen, daß ihre Arbeitnehmer erst ab 2011 Freizügigkeit genießen. Wegen der neuen EU-Außengrenze im Osten muß Polen zudem im Juli 2003 die Visumspflicht für Ukrainer, Russen und Weißrussen einführen, was eine Schwächung des ohnehin wirtschaftsschwachen Ostens des Landes bedeutet.
Die zähen Verhandlungen konnten schließlich am Abend des 13. Dezember 2002 abgeschlossen werden. Eine feierliche Erklärung der in Kopenhagen versammelten 25 Staats- und Regierungschefs zur angestrebten EU-Erweiterung (Zitat Erklärung) bildete den symbolischen Schlußpunkt.Angestrebt deshalb, weil zu diesem Zeitpunkt noch nichts unter Dach und Fach war, denn die Verträge mußten noch ratifiziert werden. Und das Ergebnis des für Juni 2003 angesetzten Referendums in Polen, der den Beitrittsverträgen die demokratische Legitimation verleihen sollte, erschien keineswegs sicher.