Katyn steht für den sowjetischen Mord an kriegsgefangenen polnischen Offizieren.
Beim Einmarsch der Roten Armee in Polen und der Besetzung der östlichen Hälfte des Landes, die der Sowjetunion im geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes zugesprochen worden war, gerieten 200.000 polnische Bürger in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Knapp 10.000 von ihnen waren Offiziere, darunter sowohl aktive als auch Reservisten und Kadetten. Die Reserveoffiziere, die im bürgerlichen Leben Anwälte, Ärzte, Professoren oder Geistliche waren, gehörten zur Bildungs- und Wirtschaftselite des Landes. Ihre Qualifikation machte sie zu Opfern der Vernichtungspolitik der Sowjetunion und
Nazi-Deutschlands, da die Besatzungsmächte in ihnen potentielle Stützen des Widerstandes sahen. Im Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939 vereinbarten die beiden Länder, „auf ihrem Gebiet keine polnische Agitation zu dulden, die auf die Gebiete des anderen Teils hinüberwirkt. Sie werden alle Ansätze zu einer solchen Agitation
unterbinden und sich gegenseitig über die hierfür zweckmäßigen Maßnahmen unterrichten“. In den folgenden Monaten führten deutsche und sowjetische Sicherheitskräfte Mordaktionen an Mitgliedern der polnischen Elite aus. Eine dieser Mordaktionen war das Massaker von Katyn.
Die polnischen Offiziere wurden in den in der Ukraine und Rußland liegenden Lager
Kosjelsk, Starobielsk und Ostaschkow gefangengehalten. Zunächst sollten weiter nach Osten deportiert werden, ehe Anfang März der Chef des Geheimdienstes NKWD, Berija, anregte, die Offiziere zu liquidieren. Stalin und die übrige Führung stimmten zu. Im April und Mai 1940 wurden daraufhin 4143 Insassen des Lagers Kozielsk in einem Wald bei Katyn (in der Gegend von Smolensk) von NKWD-Mitarbeitern erschossen und in Massengräbern bestattet. Die Offiziere, Unteroffiziere und Polizisten aus den beiden übrigen Lagern wurden an anderen Orten ermordet. Insgesamt wurden knapp 15.000 Militärs und Polizisten erschossen, etwa 500 wurden aus verschiedenen Gründen verschont. Zur gleichen Zeit wurden außerdem über 7.000 als „sozial gefährliche Elemente“ eingestufte Polen umgebracht.
Die Bedeutung des Massakers von Katyn für die deutsch-polnischen Beziehungen liegt in der Entdeckung der Opfer zu einem Zeitpunkt, als das Gebiet deutsch besetzt war. Im April 1943 wurde der Fund offiziell bekanntgemacht. Die deutsche Führung sah in dem Fund eine
hervorragende Gelegenheit für die eigene Propaganda und veranlaßte die Untersuchung der Massengräber durch Pathologen aus den besetzten Ländern sowie durch das polnische und das internationale Rote Kreuz. Die Experten kamen zu dem Schluß, daß die Opfer im April und Mai 1940 umgebracht worden sein mußten, und nicht, wie von sowjetischer Seite
behauptet, nach dem deutschen Einmarsch im Juni 1941. Doch anders als die Nazis gehofft hatten, erschütterte das Untersuchungsergebnis die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den Westalliierten kaum. Statt dessen bot die Affäre Stalin eine willkommene Gelegenheit, die Beziehungen zu der in London residierenden polnischen Exilregierung abzubrechen, indem er deren Anschuldigungen gegen Rußland als Unterstützung Deutschlands darstellte. Der Bruch mit der Exilregierung war Voraussetzung für die Annexion der polnischen Ostgebiete, und die Behauptung, daß sich die Polen von der „pro-nazistischen“ Londoner Regierung abgewandt hätten, ermöglichte die fadenscheinige Legitimierung einer kommunistischen Führung.
Bei den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen nutzten die deutschen Angeklagten Katyn, um die Legitimität des Gerichts in Zweifel zu ziehen. Im kommunistischen Polen wurde Katyn totgeschwiegen. Erst 1992 gestand Rußland die Verantwortung für den Mord an den polnischen Offizieren ein.