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Deutsche & Polen

Die erste Generation der Ruhrpolen

Valentina Maria Stefanski
Biografie

Die aller ersten Zuwanderer aus dem preußisch besetzen Teilgebiet Polens siedelten sich nach dem deutsch-französischen Krieg hier an. Oder sie wurden angeworben, sagen wir es mal so. Sie kamen aus Ostpreußen, aus Schlesien, aus dem Posener Gebiet, aus dem Ermelland. Die hatten es bestimmt schwer und waren wenig angesehen. Erst kamen nur die jungen kräftigen Männer, die später in ihre Heimat fuhren um sich Bräute auszusuchen. Die waren dann auch bereit, mit ihnen ins Ruhrgebiet zu fahren. Die Zechen merkten inzwischen, dass die Polen, obwohl sie als faul ausgeschimpft wurden, gar nicht so faul waren. Um eine Fluktuation der Arbeitskräfte zu vermeiden, wurden die Zechensiedlungen in der Nähe der Zechen gebaut. Die Polen wurden gezielt in diese Siedlungen eingewiesen und waren dann unter sich. Die meisten Angeworbenen verstanden überhaupt kein deutsch. Wir sprechen von den 70er Jahren. Das waren Menschen, die in den 50er Jahren geworben wurden. Bis 1870 wurde in der Provinz Posen, die meisten Einanderer stammten von dort, Zweisprachigkeit toleriert. Es gab noch polnischen Sprachunterricht und polnische Schulen. Die verstanden kein Wort deutsch. Das war sehr schwer. Die Bergverordnungen waren alle in deutsch abgefasst. Es wurde nicht verstanden, es wurde viel falsch gemacht. Dann hieß es eben: Das sind die dummen Polacken! Dann waren es die dreckigen Polacken. Dann wiederum die faulen. Also, alles denkbare. Sie empfanden sich wirklich als zweite, dritte Kategorie. Ihr Bewusstsein wurde durch die polnischen Priester, die ins Ruhrgebiet kamen, geweckt. Die machten aus Posenern, Ermländern, Kaschuben und Masuren bewusste Polen.

Quelle:
Stubenrauch, Jens
"Interview mit Valentina Maria Stefanski, Ruhrpolin/Westfalczyczka"
ORB, 2002

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