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Deutsche & Polen

Deutsche, Polen, Juden und der Holocaust

Wladyslaw Bartoszewski
Biografie

Wir haben keine SS-Truppen aufgestellt. Z. B. im Westen Europas existierten solche Truppen wie SS Wallonien, SS Wiking. In den Ländern waren die Leute mehrheitlich gegen die Nazis gesonnen. Aber es gab auch solche Bürger in Dänemark, Norwegen, Belgien und Holland, die sich als Hilfstruppe zu Hitler gesellt haben. Auch in Frankreich, auch in der Slowakei. In Polen gab es sowas nicht. Aber es gab auch eine entsprechende Gruppe von Halunken, Halbstarken, habgierigen Menschen, die bereit waren, für Geld mitzuwirken. Die sich bereicherten, die Leute bespitzelten oder sie auslieferten. Das kann man nicht bezweifeln. Man hat Dutzende solcher Personen exekutiert. Der polnische Widerstand hat sie erschossen. Aber es gab weitere Dutzende, die das getan haben. Wir wissen sehr gut: Ein gut organisierter Verbrecher, oder eine gut organisierte Verbrecherbande, kann sehr negativ wirken in einer Großstadt - bis heute, auch hier in Europa, auch in Amerika. Wir, die gleichgesinnten Freunde der Juden, besser gesagt, Freunde der Menschen, haben den Juden geholfen, alles mögliche getan. Unsere Bemühungen waren in der Dimension der Gruppe der Hilfsbedürftigen und der Gruppe der Menschen, die Hilfe geleistet haben. Das war eine Dimension, wie ein Meer mit einem Löffel auszuschöpfen. Ein bisschen Wasser rettet man... Aber alles? Unmöglich! Natürlich hat man besonders den Menschen geholfen, die das Ghetto verlassen haben, um der Liquidierung durch Jürgen Stroop 1943 zu entkommen. Das waren Dutzende, kann sein Hunderte. Und Tausende sind dort weiter gestorben. Das ist die Tatsache. Das ist überall ähnlich abgelaufen. Überall, wo eine Gruppe der denkenden Menschen, der Menschen guten Willens dem Widerstand folgte, sich widersetzte gegen die Macht der wohlorganisierten NS-Truppen, die Tausende bewaffneter Leute hatten. In der Warschauer Garnison gab es ständig über 20 000 wohl organisierte und gut bewaffnete uniformierte Deutsche in unterschiedlichen Truppen. Was können in paar Dutzend, ein paar Hundert Freiwillige machen gegen diese Übermacht? Das kann man sich logisch gut vorstellen. Das hatte auch moralische Bedeutung. Und diese moralische Bedeutung würdigen die Juden in Israel in Jerusalem. Aber das hat mehr moralische als praktische Bedeutung. Ein Volk retten kann nur ein starker Staat. Das konnten die starken Alliierten, die Millionen von Menschen im Einsatz hatten. Damals, '43, haben tausende Flugzeuge der Luftwaffe Deutschland schon stark bombardiert. Aber diese Luftwaffe hat keine SS-Truppen, Kasernen bombardiert in Polen. Hat keine Gestapo-Kaserne in Polen bombardiert. Hat keine SS-Kaserne in Auschwitz bombardiert. Jetzt sag man das. Und Historiker der ganzen Welt, jüdische, amerikanische, englische und deutsche Historiker schreiben über das Versagen der Europäer und der Amerikaner in dieser Zeit. Am wenigsten haben die betroffenen Leute versagt. Im Vergleich zur oberen Grenze des Möglichen haben wir immer zu wenig, aber relativ viel gemacht. Man hat mir als einen polnischen christlich motivierten Europäer oft die Frage gestellt, ob die Polen im Krieg genug getan haben, um den Menschen zu helfen, sie zu retten. Eine solche Frage kann ein gläubiger Christ, egal welcher Nationalität, egal ob er ein deutscher gläubiger Christ ist oder ein polnischer oder ein englischer, nur so beantworten: Genug hat der Christ getan, der sein Leben geopfert hat für die Nächsten. Das sind Grundsätze des Evangeliums, der gemeinsamen Ebene. Und der, der etwas getan hat und am Leben geblieben ist? Es kann sein, dass er viel getan hat. Aber nicht genug.

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